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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 14.06.2004
Aktenzeichen: 8 Sa 1289/01
Rechtsgebiete: ArbZG, BGB
Vorschriften:
ArbZG § 6 Abs. 5 | |
BGB § 264 | |
BGB § 315 |
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 07.07.2001 - 1 (3) Ca 1724/99 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Urteilstenor nach Neufassung des Klageantrags wie folgt lautet:
Der Beklagte wird verurteilt, nach ihrer Wahl dem Kläger als Ausgleich für die geleistete Nachtarbeit aus dem Zeitraum 1997 - 1999 14.126,30 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 4% vom verbleibenden Nettobetrag für die Zeit vom 10.01.2000 bis 30.04.2000 sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins auf den Bruttobetrag seit 01.05.2000 zu zahlen oder 122,6 freie Arbeitstage zu gewähren
Die Kosten des ersten Rechtszuges trägt der Kläger allein, von den Kosten des zweiten Rechtszuges trägt der Kläger 3/4, die Beklagte 1/4.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Gewährung von Ausgleichsleistungen gem. § 6 Abs. 5 ArbZG für geleistete Nachtarbeit und insbesondere um die Frage, wie die "angemessene Zahl bezahlter freier Tage" im Sinne des Gesetzes zu bestimmen ist.
Der Kläger ist seit dem Jahre 1994 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Obst- und Gemüseverarbeitenden Industrie, als Schichtleiter beschäftigt. Sein Bruttoverdienst belief sich im maßgeblichen Zeitraum auf 5.000, 00 DM brutto/Monat.
Bei der Beklagten wird im Mehrschichtsystem mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 45 Stunden gearbeitet. Einen Ausgleich für Nachtarbeit gem. § 6 Abs. 5 ArbZG hat der Kläger bislang nicht erhalten. Mit seiner im Dezember 1999 erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Beklagte schulde für die Jahre 1996 bis 1999 die Zahlung eines angemessenen Nachtschichtzuschlages, welcher sich in Anlehnung an tarifliche Vorschriften auf 50% belaufe, ferner sei für Schichtarbeit ein Zuschlag in Höhe von 25% zu zahlen. Auf dieser Grundlage hat der Kläger im ersten Rechtszuge eine Forderung von 70.886,32 DM brutto geltend gemacht.
Durch Urteil des Arbeitsgerichts vom 05.07.2000 (Bl. 49 ff. d.A.) hat das Arbeitsgericht - unter Abweisung des Klagebegehrens für das Jahr 1996 aus Gründen der Verjährung - die Beklagte zur Zahlung von 62.073,82 DM brutto verurteilt.
Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend, zum einen ergebe sich aus der Vorschrift des § 6 Abs. 5 ArbZG ein Wahlrecht des Arbeitgebers, einen Ausgleich in Zeit oder Geld zu leisten. Darüber hinaus habe das Arbeitsgericht auch die Höhe der Forderung unzutreffend bestimmt.
Insoweit ist im zweiten Rechtszug unstreitig geworden, dass der Kläger im Zeitraum 1997 bis 1999 679 Nachtschichten á 6,5 Stunden geleistet hat. Nach Auffassung der Beklagten könne der Kläger hierfür - nach ihrer Wahl - entweder einen Ausgleich in Geld, und zwar mit einem Zuschlag von 25% verlangen; sofern ein Ausgleich durch freie Tage erfolge, werde je ein bezahlter freier Tag für 90 geleistete Nachtarbeitsstunden als angemessen erachtet. Eine vollständige Gleichstellung des Ausgleichs in Geld oder Zeit mit 25%, wie ihn der Kläger zuletzt verlange, sei demgegenüber gesetzlich nicht vorgeschrieben.
Demgegenüber hat der Kläger den Standpunkt vertreten, wenn schon dem Arbeitgeber die Entscheidung freistehe, einen Ausgleich wahlweise in Geld oder Zeit zu gewähren, müsse auch der Zeitausgleich auf der Basis eines Prozentsatzes von 25% erfolgen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 14.06.2004 hat der Kläger seinen Klageantrag mit Zustimmung der Beklagten wie folgt geändert:
Die Beklagte zu verurteilen, nach ihrer Wahl dem Kläger als Freizeitausgleich für die geleistete Nachtarbeit 14.126,30 EUR brutto nebst Zinsen wie beantragt zu zahlen oder 122,6 freie Arbeitstage zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist - soweit sie den Klageantrag in der zuletzt maßgeblichen Fassung betrifft - unbegründet, wobei aus Gründen der Klarstellung der Urteilstenor insgesamt neu zu fassen war.
I
Der im zweiten Rechtszuge mit Zustimmung der Beklagten neugefasste Klageantrag ist zulässig und begründet.
1. Rechtsgrundlage für den verfolgten Ausgleichsanspruch ist die Vorschrift des § 6 Abs. 5 ArbZG. Nachdem das Bundesarbeitsgericht durch Entscheidung vom 05.09.2002 - 9 AZR 202/01 - und Urteil vom 27.05.2003 - 9 AZR 180/00 - den Charakter der Ausgleichsverpflichtung gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG als Wahlschuld im Sinne des § 264 BGB erkannt und die Höhe des angemessenen Entgeltzuschlages auf das zu zahlende Bruttoarbeitsentgelt für Arbeitnehmer, welche nicht in Dauer-Nachtschicht tätig sind, mit 25% angenommen hat, beschränkt sich der Streit der Parteien - nach Neufassung des Klageantrages im zweiten Rechtszuge - in der Sache allein auf die Bestimmung der wahlweise zu gewährenden "angemessenen Zahl freier Tage".
Hierzu wird im Schrifttum, welches allerdings noch aus der Zeit vor Veröffentlichung der zitierten BAG-Entscheidung stammt, zum Teil der Vorschlag unterbreitet, für je 90 Nachtarbeitsstunden sei ein bezahlter freier Tag als angemessen zu erachten (z.B. Zmarzlik/ Anzinger, § 6 ArbZG Rz 58). Dieser Berechnungsvorschlag, welcher auch Eingang in das Gesetzgebungsverfahren gefunden hat, ist vom Gesetzgeber jedoch nicht aufgegriffen worden. Insbesondere im Vergleich zur Bemessung des entgeltlichen Ausgleichs für Nachtarbeit führt er - wie es in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 05.09.2002 auf Seite 6 sinngemäß heißt - zu ungereimten Ergebnissen, indem nämlich ein ausgewogenes Verhältnis von Geld- und Zeitausgleich verfehlt wird. Das zeigt sich anschaulich auch im vorliegenden Fall. Während sich der dem Kläger zu gewährende Geldausgleich auf mehr als 14.000,00 EUR brutto beläuft, hätte der Kläger auf der Grundlage des genannten Berechnungsvorschlages bei 679 Nachtschichten mit je 6,5 Stunden allein einen Anspruch auf Arbeitsfreistellung an 49 Tagen.
Das Gesetz räumt zwar dem Arbeitgeber das Wahlrecht ein, einen Ausgleich für Nachtarbeit in Zeit oder Geld zu gewähren. Damit soll ersichtlich den jeweiligen betrieblichen Notwendigkeiten oder Zweckmäßigkeitserwägungen Rechnung getragen werden. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, warum der Umfang der Ausgleichsverpflichtung davon abhängig sein soll, ob sich der Arbeitgeber für einen Zeit- oder Geldausgleich entscheidet. Wenn das Gesetz sowohl für den Geld- als auch für den Zeitausgleich den Maßstab der "Angemessenheit" nennt, kann bei Anwendung des § 315 BGB im Zweifel nur ein gleichwertiger Ausgleich - d.h. mit einem gleichen prozentualen Aufschlag in Zeit oder Geld - gemeint sein. Auch soweit tarifliche Vorschriften alternativ Zeit- oder Geldzuschläge vorsehen, ist durchweg derselbe Berechnungsmaßstab (Prozentsatz) vorgesehen. Die im Schrifttum vorgeschlagene Berechnungsweise von einem freien Arbeitstag je 90 Nachtarbeitsstunden würde danach allein mit einem nach denselben Grundsätzen berechneten Geldausgleich harmonieren. Nachdem die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus überzeugenden Gründen für Fälle der vorliegenden Art einen Geldzuschlag von 25% für angemessen erachtet hat, muss diese Berechnung mit einem Aufschlag von 25% auch für den wahlweise zu gewährenden Zeitausgleich zugrunde gelegt werden.
2. Im Einzelnen ergibt sich damit folgende Berechnung:
a) Als Geldausgleich kann der Kläger verlangen: 679 Tage á 6,5 Nachtarbeitsstunden = 4.413,05 Nachtarbeitsstunden x 25,04 DM x 25 % = 21.628,64 DM entsprechend 14.126,30 EUR brutto.
b.) Der Anspruch auf Gewährung freier Tage errechnet sich wie folgt: 679 Tage x 6,5 Stunden = 4.413,05 Stunden x 25% = 12.003,38 Stunden. Bei einer täglichen Arbeitszeit von 9 Stunden entspricht dies einem Freizeitanspruch von 122,6 Tagen.
II
Zinsen stehen dem Kläger auf den Zahlbetrag unter dem Gesichtspunkt des Verzuges zu.
III
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Hierbei war zu Lasten des Klägers der Umstand zu berücksichtigen, dass der Kläger erst im Zuge des zweiten Rechtszuges sein Begehren als Wahlschuld gefasst und der Höhe nach an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgerichtet hat.
IV
Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil zugelassen, da die Frage der Berechnung der angemessenen Zahl freier Tage gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG höchstrichterlich noch nicht geklärt ist.
Ende der Entscheidung
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